Im Meer, zwei Jungen by Jamie O’Neill
Autor:Jamie O’Neill
Die sprache: deu
Format: epub
Tags: gay, schwul, Literatur, Roman
Herausgeber: Bruno Gmünder
veröffentlicht: 2014-04-16T04:00:00+00:00
Zwölftes Kapitel
Er schwamm zu der Insel, doch das Meer war schlüpfrig und schlammig wie Gallert, der sich unter ihm setzte. Er war schon toll in Schwung, wollte es aber mit dem Beinschlag versuchen. Und wahrhaftig, es war besser, wenn er mit den Beinen ruderte. Der Stoß trieb ihn übers Wasser dahin, als würde er fliegen, nein, nicht fliegen, sondern springen, weite, waagerechte Sprünge, bei denen er über die Oberfläche glitt, dann wie ein Insekt landete und erneut schlug. Seltsam, aber das Wasser führte die ganze Zeit bergauf.
Er pflügte durch einen Wellenkamm, und vor ihm tauchten die Muglins auf. Das Wasser war inzwischen warm, seicht und emulsionsartig. Unter den Füßen fühlte er Sand, und er zehelte durch die Kabbelung. Er hörte sie hinter den Felsen, sie war am Singen oder so ähnlich, und um sie her murrten die Möwen und flatterten mit den Flügeln. Eigentlich war er verärgert, und er wollte wissen, weshalb sie die ganze Zeit hier gewesen war, wenn sie hätte nach Hause kommen können. Ihr Zuhause war nur einen Steinwurf entfernt. Doch als er um die Felsen bog, war es nicht seine Mutter, die stöhnte, sondern Doyler, seine Handgelenke waren rot von den Ketten, in denen er sich auf dem Felsen wand, und ein alter Gänserich hackte auf seine Augen ein. Aber es waren nicht seine Augen, auf die er einhackte, sondern etwas anderes, viel, viel weiter unten.
Der Traum zerstob, und Jim lag wach auf seiner Sitzbank. Auf dem Kaminrost fiel der letzte Torfsoden in sich zusammen, und die Vettel in der Asche grinste ihn höhnisch lodernd an. Sein Hemd war naß, als sei er tatsächlich im Meer geschwommen, aber der Traum verblaßte immer mehr, und das einzige, was ihm blieb, war das Gefühl, geflogen zu sein, durch Regen gehuscht zu sein.
Erst glaubte er, es seien Mäuse im Laden, dann, Ratten im Hof. Es überraschte ihn nicht, als das Rascheln sich als ein Fingerkratzen an der Fensterscheibe entpuppte.
Er kniete auf und zog die Jalousie hoch. Durch die Scheibe grinste ihn gespenstisch Doylers Gesicht an. Jim verdrehte die Augen zur Zimmerdecke. Er band die Jalousie fest, dann hob er das Fenster einen Spalt an. Doyler schob die Finger darunter, und gemeinsam ruckelten sie das Fenster in die Höhe.
»Wie bist du in den Hof gekommen?«
»Über die Mauer gekraxelt natürlich.«
Die Brise streifte das Ewige Licht, und an der Wand schwankten Schatten. Oben knarrte ein Bett, und sein Vater rief herab: »Alles in Ordnung, Jim?«
»Ja, Pa.«
»Schlaf jetzt, mein Junge.«
»Ja, Papa.«
Sie betrachteten die Zimmerdecke, bis das Bettgestell zu klagen aufhörte.
»Willst du reinkommen?«
»Nein.«
»Dann komme ich raus.«
»Bleib da.« Er trug wieder seine blau verschossenen Klamotten von früher. Er hatte ein braunes, mit Bindfaden verschnürtes Paket bei sich, das er jetzt hochhielt. »Wohlgemut?«
»Du gehst fort«, sagte Jim.
»Wollte mich verabschieden.«
Es fielen Worte, Vorwürfe, Einwände. Daß Jim ihn gewarnt hatte. Ihm gesagt hatte, sich nicht um die Kerle zu kümmern. Wieder und wieder habe er ihn davor gewarnt. Aber hörte Doyler etwa auf ihn? Nein, Doyler hörte nicht auf ihn.
Oben knarrte ein Bett, und Tante Sawney hustete. In der Stille danach schüttelte Doyler den Kopf.
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